Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und der ärztlich attestierte Suizid
10.06.2022

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und der ärztlich attestierte Suizid

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und der ärztlich attestierte Suizid

Das Bundesverfassungsgericht urteilte mit Entscheidung vom 26.02.2020, jedem Menschen stünde grundsätzlich die Freiheit zu, den eigenen Tod frei zu wählen.


Es etablierte hiermit das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ als besondere Grundrechtsausprägung des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Weiter erklärte das oberste Verfassungsgericht den erst 2015 neu geschaffenen § 217 StGB – das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung - für verfassungswidrig und damit nichtig. Das Gericht sprach dem Suizidwilligen weiter zu, sich bei der Umsetzung des Sterbewunsches auch der Hilfe Dritter bedienen zu können. Es betonte allerdings, dass diese Hilfe nur auf Freiwilligkeit beruhen könne.


Die oberen Verwaltungsgerichte erkennen in ihrer seither ergangenen Rechtsprechung das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben als Abwehrrecht des Individuums zum Schutz vor staatlichen Eingriffen an. Zugleich kristallisiert sich die Meinung heraus, das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben enthalte auch einen Anspruchsgedanken: dem Sterbewilligen sei (staatlicherseits) ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen.


Der 124. Deutsche Ärztetag reagierte unmittelbar auf das Urteil des Verfassungsgerichts und strich das strikte Verbot der Suizidhilfe aus der Musterberufsordnung für Ärzte. In dieser hatte es bis dato geheißen [Ärztinnen und Ärzte] „dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“. Auch viele Berufsordnungen der Länder folgten diesem Beispiel und passten ihre Regelungswerke entsprechend an. Die Streichung des Verbots der Hilfe zur Selbsttötung aus der Berufsordnung bedeutet allerdings nicht, dass ÄrztInnen nun gezwungen wären, den Sterbewilligen beim Suizid zu unterstützen. Ärztliches Handeln ist grundsätzlich von einer lebens- und gesundheitsorientierten Zielrichtung geprägt. “Ureigene“ Aufgabe der ÄrztInnen sei es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern sowie den Sterbenden Beistand zu leisten. Sie sollen an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit mitwirken. Die Konfrontation mit dem Sterbewunsch eines Patienten ruft in vielen ÄrztInnen daher große Unsicherheiten hervor.


Auch birgt diese nicht überschaubare rechtliche Risiken: Festzustellen ist, dass die Selbsttötung als solche in Deutschland nicht unter Strafe gestellt ist und in Folge dessen weder der Versuch noch die Anstiftung oder Beihilfe hierzu strafbar sind. Auch das Beiwohnen von ÄrztInnen bei einem freiverantwortlichen Suizid, in Kenntnis, dass dieser auf einem autonomen Willensentschluss des Sterbenden beruht, verpflichtet die Behandelnden nicht länger zu zwingenden Rettungshandlungen, um einer potentiell strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Weiter besteht Einigkeit, dass ÄrztInnen im Rahmen ihrer Behandlung grundsätzlich den autonom gebildeten Willen ihrer PatientInnen zu berücksichtigen haben – dies wurde mit der Einführung der § 1901 a Abs. 3 BGB und § 1906 a Abs. 1 Nr. 3 BGB unmissverständlich klargestellt. Haben die Behandelnden Kenntnis von dem freien und autonom gefassten Suizidentschluss des Sterbewilligen, steht ihnen - zumindest berufsrechtlich - eine Entscheidung über die Unterstützung des Sterbewunsches entsprechend der eigenen beruflichen und ethischen Grundsätze offen. Es besteht keine „Verpflichtung“, kranke und leidende Patienten in Bezug auf deren Sterbewunsch zu beraten oder bei der Durchführung zu unterstützen, noch einen anvisierten Suizid zu verhindern.


Möglichkeiten und Grenzen des Umfangs und der konkreten Umsetzung etwaiger „professioneller“ ärztlicher Hilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung sind anhand der aktuellen Gesetzeslage nicht pauschal zu benennen. Letztlich sind immer die Umstände des konkreten Einzelfalls zu bewerten. Dringende gesetzgeberische Entscheidungen und Reformen werden viel diskutiert und sehnsüchtig erwartet.


Gerne begleiten wir Sie bei rechtlichen Fragestellungen und Problemen in diesem Kontext. 

Antonia Galante

Rechtsanwältin