Achtung geboten – Neulandmethode erfordert besondere ärztliche Aufklärung
22.07.2022

Achtung geboten – Neulandmethode erfordert besondere ärztliche Aufklärung

Achtung geboten – Neulandmethode erfordert besondere ärztliche Aufklärung

Mit Urteil vom 18.05.2021 stellte der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH, Az.: VI ZR 401/19) noch einmal heraus, welche Anforderungen an die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten vor der Behandlung mit einer neuen oder noch nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode gestellt werden.


Die Wahl einer vom fachlichen Standard abweichenden Behandlungsmethode als solcher stellt für sich genommen keinen Behandlungsfehler dar. In Deutschland gilt der Grundsatz der Therapiefreiheit. Medizinischer Fortschritt kann sich nur entwickeln und etablieren, indem dem Behandelnden ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zugebilligt wird. Die Therapiefreiheit ist daher keinesfalls ein besonderes ärztliches Privileg, sondern Ausdruck eines fremdnützigen Rechts: Der Behandelnde trifft nach pflichtgemäßem und gewissenhaftem Ermessen im Einzelfall diejenige therapeutische Maßnahme, die nach seiner begründeten Überzeugung unter den konkreten Umständen den größtmöglichen Nutzen für den Patienten erwarten lässt. Vor seiner Behandlung ist der Patient jedoch über die Risiken und Chancen der Therapie aufzuklären.


Der BGH urteilt, dass bei der Anwendung einer sog. Neulandmethode diese Anforderungen an die Aufklärung des Patienten erhöht seien. Um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren, müssten diesem nicht nur das Für und Wider der im jeweiligen Fall anzuwenden geplanten Neulandmethode erläutert werden; sondern er sei insbesondere auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht bzw. noch nicht dem medizinischen Standard angehöre. Der Behandelnde müsse explizit darüber aufklären, dass die geplante Methode noch nicht abschließend geklärte Gefahren bergen könne. Eine neue und nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode darf also nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem unmissverständlich deutlich ist, dass unbekannte - nicht lediglich ungewisse - Risiken nicht auszuschließen sind. Erst diese besondere Aufklärung versetze den Patienten in die Lage, sorgfältig abzuwägen, so der BGH. Er könne dann aufgrund der umfassenden Kenntnis seiner Optionen in freier Abwägung entscheiden, ob er die herkömmliche Methode mit bekannten Risiken oder die neue Methode mit noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Risiken und Gefahren, aber dafür mit den in Aussicht gestellten besonderen Vorteilen, wählt.


Steht nun nach einer Behandlung mit einer neuen Methode in Streit, inwieweit die Aufklärung erfolgte, kann der Behandelnde versuchen zu beweisen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte. Will der Behandelnde eine hypothetische Einwilligung des Patienten gem. § 630 Abs. 2 Satz 2 BGB in die Behandlung mit einer unbekannten Methode „beweisen“, muss zunächst zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass der Patient nach „richtiger und vollständiger Aufklärung“ in einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte und auf Basis dieser umfassenden Kenntnis gleichwohl eingewilligt hätte. Der Behandelnde muss also nachweisen, dass der Patient im Falle ordnungsgemäßer und insbesondere vollständiger Aufklärung gleichwohl die Neulandmethode gewählt hätte.


Gerne beraten und unterstützen wir Sie in Zusammenhang mit rechtlichen Fragen zur medizinischen Aufklärung und Haftung. 

Antonia Galante

Rechtsanwältin